Johann Rosenmüller (1617-1684)
Datum: 2011-07-31
Der Komponist Johann Rosenmüller (ca. 1617 - 1684) wurde in Ölsnitz im Vogtland geboren und studierte ab 1640 in Leipzig Theologie. Er wurde 1642 als „Collaborator“ (Hilfslehrer) an die Leipziger Thomasschule berufen, übernahm 1650 als „Baccalaureus funerum“ die Leitung der Musik bei Leichenbegräbnissen und vertrat zunehmend den an Gicht leidenden Thomaskantor Tobias Michael in seinem Kantoratsdienst. Eine enge künstlerische Freundschaft verband ihn mit dem Leipziger Rechtsgelehrten und Dichter Caspar Ziegler (1621-1690), von dem er zahlreiche Texte vertonte, und mit dem Komponisten Heinrich Schütz (1585-1672), der ein Lobgedicht auf Rosenmüllers 1645 erschienenen ersten Notendruck "Paduanen, Alemanden etc." verfasste:
Herrn Johann Rosenmüllern
So fahre fort/ mein Freund/ obgleich die Dornen
stechen/
Der Edlen Music-Kunst die Rosen abzubrechen/
Ja fahre fort noch mehr zu sammlen ihrer ein/
Ich sehe Floram schon auffwärtig dir zu
seyn/
Und einen Ehrenkrantz mit ihrer Hand zu
winden/
Der nicht verwelcken wird/ den kein Neid wird
auffbinden/
Daß deines Namens Ruhm in Deutschland bald
angehn/
Durch Famam ausgebreit/ und löblich wird
bestehn.
Überschickt aus Dressden
von Heinrich Schützen / Capellmeister
Zwischen 1645 und 1649 ist Rosenmüller als Mitglied des Leipziger "Collegium Gellianum" nachweisbar, einer bis 1673 bestehenden Gelehrtengesellschaft, die sich immer sonntags nach dem Gottesdienst traf und mit griechischer und römischer Altertumskunde sowie aktuellen theologischen Fragen beschäftigte. Im Winter 1645/46 reiste Rosenmüller nach Italien und brachte die neueste italienische Musik mit nach Leipzig, die einen großen Einfluss auf seine eigenen Werke hatte. Aus dem Lobgedicht, das Caspar Ziegler 1648 für Rosenmüllers "Kernsprüche" schrieb, geht hervor, dass Rosenmüller während seiner Italienreise auch in Venedig gewesen sein muss:
WAs die Meeres Königin / die man sonst Venedig
nennet/
Die der Welschen Donner ist / vor Musicen
rühmt und kennet/
Was der Florentiner Orfeus angegeben und
gethan/
Solches giebt Herr Rosenmüller seinen
Deutschen wieder an.
Solte nun Venedig hier seinen Klang und Seiten
hören/
Solt es seine Wahren sehn / tausend Ayde wird es
schweren/
Daß es sich verirret hette. Du / du werthe
LindenStadt/
Suchest durch die Kauffmanschafften/ was die
Welt gekünstlet hat.
Was der Tagus schönes führt/ was Peru in
seinen Stollen/
Was Japan zu graben pflegt/ was die Schwartzen
machen sollen/
Was man zu Schiras gewürcket: Aller
Indianer Pracht/
Und der Inseln gantzes Reichthum wird dir/
Leipzig/ feil gemacht.
Eben so pflegt mancher auch nach der Kunst
herüm zu ziehen/
Wo nur etwan ein Athen in der Welt herfür zu
blühen
Durch die grossen Leute suchet. Welschland/ das
so künstlich hört/
Hat durch seine Kunst zu singen Leipzig
offtermals bethört.
Flemming wolte mir zwar auch meine Stimme schwebend
machen/
Eh er Astrachan betrat: Aber Kehle/ Zung und
Rachen
Wurden alle wieder rostig. Dennoch bracht er
mich dahin/
Daß ich bey den Festquinquatren niemals
ausgemustert bin.
Du/ mein Rosenmüller/ hast zu der Kunst den
Griff gefunden/
Febus hat dir einen Krantz mit selbst eigner Hand
gewunden/
Und die Pyreneer Musen rühmen diesen seinen
Fleiß:
Ich gesteh es/ daß ich Welschland nirgend
sonst zu finden weiß.
Der Theologieprofessor Hieronymus Kromayer (1610-1670) verfasste ein Lateinisches Lobgedicht für Rosenmüllers Kernsprüche.
Ab 1651 wurde Rosenmüller als Organist an der Leipziger Nicolaikirche, zwei Jahre später auch an der Thomaskirche angestellt. Der Leipziger Rat sicherte ihm 1653 schriftlich zu, als Nachfolger des kränklichen Thomaskantors Michael gewählt zu werden. Er leitete vermutlich die Figuralmusikaufführungen an der Thomas- und Nikolaikirche und spielte auch bei der Musikpflege an der Paulinerkirche der Universität eine große Rolle. 1654 übernahm er von Leipzig aus die Leitung der Musik am fürstlichen Hof in Altenburg und erhielt eine Einladung zur Bewerbung um das Kreuzkantorat in Dresden, die er jedoch ablehnte. Im gleichen Jahr führte er in Borna zur Einweihung der Stadtkirche eine Festmusik auf.
1655 geriet Rosenmüller unter einen schweren Verdacht. Laut einer Klageschrift des sächsischen "Consistoriums" gegen den Rat der Stadt Leipzig berichtete der Superintendent D. Christian Lange, dass der Rat der Stadt "zu gründlicher erkundigung des bey dieser Stadt von Johann Rosenmüllern erschollenen bösen geschreyes etliche Schulknaben haben abholen lassen" und diese Knaben "haben beystecken laßen undt annoch in gefänglicher hafft behalten". Das Consistorium verlangte Auskunft über die Beweggründe des Rates für dieses Vorgehen. Der Rat der Stadt erwiderte, dass Rosenmüller "per publicam famam grober Excesse bezüchtiget" wurde und "so wohl auch etliche Schulknaben in der Schule zu S. Thomas desuper in Verdacht gezogen worden". Der Rat hat "darauff nach erlangter Nachricht untere iurisdiction wieder die Knaben uns gebrauchet, auch etliche derselben zu Hafft bracht undt inquisitorie procediert, die Knaben examinirt". In einem Valedictionsbrief von 1655 schreibt ein Alumne der Thomasschule, dass er die Schule verlasse, um dem grundlosen Gerede zu entgehen, Rosenmüller "lasciviam suam mecum exercuisse" = "Rosenmüller habe seine schändliche Lust an mir befriedigt". Aus den Akten ist nicht ersichtlich, was tatsächlich vorgefallen ist. Johann Gottfried Walther schreibt in seinem 1732 erschienenen Musiklexikon, dass Rosenmüller in den Verdacht der "Sodomiterey" geraten sei. Unter diesem Begriff ist im 18. Jahrhundert "die Sünde Sodoms" zu verstehen, das Verbrechen, das in dieser Stadt herrschte und in der "unnatürlichen Vermischung mit Personen einerley Geschlechts bestand, und wovon die Knabenschänderey eine Art ist". Nur durch Flucht über Hamburg nach Venedig konnte er einer Bestrafung entgehen.
In Venedig wirkte er als Posaunist an San Marco und ab 1658 als "maestro di coro" am "Ospedale della Pietà" - dasselbe Mädchenkonservatorium, das ab 1703 durch Antonio Vivaldi geleitet wurde. 1682 kehrte Rosenmüller als Kapellmeister an den Hof des Herzogs Anton Ulrich von Wolfenbüttel nach Deutschland zurück. Joachim Meier (1661-1732), der Rosenmüller persönlich kannte, schrieb in seinem "Criticus sine crisi" von 1728 über Rosenmüller:
"Ich muß hiebey eines merckwürdigen Zufalls erwehnen/ so diesem Hammerschmidt mit dem damahligen Cantore Johann Rosenmüller in Leipzig begegnet. Es war offterwehnter Hammerschmidt nacher Leipzig zur Meßzeit gekommen/ und hatte auf den dasigen Stadt-Keller den Cantorem [sic!] Rosenmüller gefunden/ welcher Ihn aber nicht kante/ Hammerschmidt sich auch denselben nicht entdeckte/ sondern sich nur vor einen fremden Musicum ausgab. Als sie nun nach einigen andern Discoursen auch auf die Music und Composition zureden kommen/ und Hammerschmidt ihn frug/ was er von Andrea Hammerschmidts in Zittau Composition hielte? antwortete Rosenmüller/ es wäre derselbe ein Clausulen Dieb/ und wenn er ihm die Manier und Clausulen nicht abstöhle/ würde er nichts machen können/ weil nun Hammerschmieden dieses verdroß/ antwortete er mit einer ziemlich scharffen retorsion darauf/ und wurde die Verbitterung so groß/ daß sie endlich einander in die Haare geriethen/ und kaum durch die dazwischen Kunfft einiger guten Freunde geschieden werden konten. Endlich wie sich Hammerschmiedt zu erkennen gegeben/ lieff die Sache auf ein Gelächter hinaus/ und schieden sie als gute Freunde von einander."
"Ich habe diesen Rosenmüller nach seiner Wiederkunfft aus Italien, wohin er eines bekandten Lasters halber aus Leipzig seine Zuflucht nehmen müssen/ zu Wolffenbüttel/ woselbst er als Kapellmeister lebete im Jahr 1685. [sic!] gesprochen/ und Ihn damahls noch als einen hitzigen Kopf und Alters wegen verdrießlichen Mann gefunden/ dem es niemand zu Danck machen konnte/ und daher mit allen seinen Adjuvanten immerhin polterte. Ich habe auch dabey gemercket/ daß er dem seel. Capellmeister Wolfgang Carl Bringel [sic! = Briegel ] in Darmstadt so gleich sahe/ daß man leicht einen vor den andern hätte ansehen können/ wiewohl Bringel [sic! = Briegel] als ein Doucer Mann Ihm weder in moribus noch in der Composition gleich kam."
Rosenmüllers musikalische Qualitäten wurden trotz der moralischen Vorwürfe gegen ihn schon zu Lebzeiten sehr geschätzt; er gehört neben Buxtehude und Pachelbel zu den wichtigsten deutschen Komponisten zwischen Schütz und Bach.