Die Weibermühle

von Georg Anton Bredelin (1752-1814)

Die genaue Entstehungszeit des ältesten und schönsten Wolfacher Fasnetspieles ist unbekannt. Jedenfalls schrieb Bredelin sie während seiner Hausacher Dienstzeit zwischen 1784 und 1797, denn sonst wäre das Stück wohl kaum nach Wolfach gelangt. Da Wolfach zwischen 1792 und 1797 stark unter den Auswirkungen des 1. Koalitionskrieges zu leiden hatte und Bredelin 1789 in Schuttern an der Klosterschule wirkte, dürfte eine Aufführung unter Bredelins Leitung nur 1788, als es den Wolfachern erstmals nach fast 250 Jahren wieder offiziell erlaubt war, die Fasnet zu feiern, oder zwischen 1790 und 1792 möglich gewesen sein. Eine wesentliche Rolle spielte dabei vermutlich die vielleicht von Bredelin sogar speziell für diesen Anlass gegründete und 1788 erstmals in den Quellen erwähnte Wolfacher Commedianten-Compagnie. Der heute im Heimatmuseum ausgestellte älteste handschriftliche Spieltext, der sich im Besitz der Familie Straub befand, ist mit "2. März 1803" datiert.

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Weibermühlentext 1803

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Der Text von Bredelins Weibermühle besteht aus 33 Strophen, von denen 14 auf mehrere Rollen aufgeteilt sind. Alle Strophen werden auf dieselbe Melodie gesungen, die von Bredelin selbst komponiert wurde. Erst 1950 hielt der Stadtkapellmeister Eugen Lang ihren Notentext schriftlich fest, nachdem Georg Straub sie ihm vorgesungen hatte. Sie war und ist in Wolfach sehr beliebt und fand auch für Moritaten beim Schnurren Verwendung. Um 1870 entstand auf die Melodie ein Schnurrtext, der die Preußische Gewerbe-Ordnung, nach der die Frauen handwerksberechtigt wurden, verulkte.

Weibermühlenmelodie

Die Handlung lässt sich in einen Prolog, sechs Szenen und einen Epilog gliedern. Nachdem der Müllermeister Cyprian seine Wundermühle angepriesen hat, bringen nacheinander fünf Männer - ein Weber, ein Schneider, ein Schuster, ein Bauer und ein Schreiber - ihre alten Weiber zur Mühle und klagen dem Müller ihr Leid, wobei sich gelegentlich auch der Hanswurst Stolprian mit spöttischen Kommentaren einmischt. Die alten Weiber landen trotz Gegenwehr in der Mühle. Bei jedem Mahlvorgang stimmt Cyprian sein Zauberlied an, damit die Verwandlung auch gelinge. Nach ihrer Verjüngung will nun das Weib nichts mehr von ihrem alt gebliebenen Mann wissen, der sich darum lebhaft beschwert, doch bleibt ihm nur der Spott des Müllermeisters oder Hanswursts für sein törichtes Handeln. Nachdem der Hanswurst gesehen hat, wohin die Verjüngung der Weiber führt, bringt auch er sein Weib zur Mühle in der Hoffnung, dass dieses ihn danach verlassen werde, doch wendet sich das Schicksal gegen ihn. Es folgen als Epilog drei Strophen, in denen die Männer, der Hanswurst und die Weiber ihre jeweils eigenen Schlüsse aus der Handlung ziehen.

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Im Heimatmuseum befindet sich das originale Textheft der Weibermühle von 1858. Der Text weist gegenüber dem handschriftlichen Text von 1803, der als Grundlage für die heute aufgeführte Spielfassung diente, einige Abweichungen auf, die jedoch zumeist eine Verschlechterung darstellen gegenüber dem Original. Es ist nicht bekannt, von wem und aus welchem Grund diese Änderungen vorgenommen wurden.

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Für den Müllermeister wählte Bredelin vermutlich ganz bewusst den Namen Cyprian, denn er bezieht sich damit auf eine alte Sagengestalt, den heiligen Cyprian von Antiochien († 304 n. Chr.), der einst als ein berühmter Zauberer galt, bevor er zum Christentum bekehrt wurde. Er kannte die magischen Künste der Ägypter und Chaldäer und stand in dem Ruf, die Elemente zu beherrschen, die Kunst der Nekromantie auszuüben und die Gabe der Verwandlung zu besitzen, wie sie sich geradezu beispielhaft in der Weibermühle zeigt. Ein Jüngling, der ein christliches Mädchen namens Justina, die Tochter eines Götzenpriesters, die dauernde Jungfräulichkeit gelobt hatte, liebte, beauftragte Cyprian, diese durch einen Liebeszauber für ihn zu gewinnen, doch scheiterte der Versuch. Dieses Handlungsmotiv der Sage dürfte Bredelin veranlasst haben, seinem Müllermeister diesen Namen zu geben.

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Die Weibermühle von Tripstrill

Der Hanswurst wird von Bredelin, vielleicht in Anlehnung an ein Fastnachtspiel von Hans Sachs (1494-1576), als Stolprian (ein tölpischer Mensch, der über alles stolpert) bezeichnet, was hier wohl auch als eine Verballhornung von Cyprian zu deuten ist und den Hanswurst zu einer Parodie seines Meisters macht, dessen Zauberkraft er für sich auszunutzen gedenkt, dabei aber sozusagen über seine eigenen Füße stolpert.

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Nachweislich aufgeführt wurde die Weibermühle in Wolfach 1803, 1836, 1858, 1892, 1973, 1977, 1982, 1987, 1992, 1997, 2002, 2007, 2012, 2015 (bei den "Närrischen Festspieltagen"), 2017 und 2020 (beim Narrentreffen in Staufen). Sonderaufführungen gab es in der Festhalle am 23. Oktober 1982 bei der Herbsttagung der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte im Rahmen eines Unterhaltungsabends für die Zunftvertreter und aus Anlass des 200-jährigen Bestehens des Stückes am 8. Februar 1987. Eine für den 22. Juli 1973 geplante Aufführung der Weibermühle, in deren Rahmen auch das restliche Fasnetbrauchtum vorgestellt werden sollte, wurde wegen Terminüberschneidungen abgesagt.

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Titelseite des Textbüchle von 1858

Gedruckte Textbüchle erschienen 1858 und 1892 mit Lithographien von Adolf Neef (1823-1893) sowie 1973 und 1986 mit ausführlichen Anmerkungen von Josef Krausbeck. Zum damals vermuteten 150. Jubiläum kam 1952 eine auf 20 Minuten verkürzte und durch Georg Straub stark modernisierte Version auf die Festspielbühne vor dem Rathaus in Verbindung mit den "Närrischen Olympischen Ausscheidungskämpfen", dem eigentlichen Festspiel nach einer Idee von Hugo Vivell. In einigen Fasnetspielen wirkte die Mühle außerdem ohne Bredelins Text und Musik mit, beispielsweise 1931, 1937 und 1949.

Die 81-jährige Spielpause der Originalfassung geht auf einen alten Aberglauben zurück: Nachdem 1892 die Weibermühle aufgeführt worden war und noch im gleichen Jahre das alte Rathaus abbrannte, beschlossen die Narren 1893 in der Gastwirtschaft "Zum Ochsen" in ihrer ersten Versammlung, das Spiel künftig nicht mehr aufzuführen. Als Begründung dafür war im "Kinzigtäler" zu lesen: "Merkwürdigerweise ist auch jedesmal im selben Jahre, in welchem diese ‚verhängnisvolle Mühle' gespielt wurde, also 1803, 1836 und 1858, ein größerer Brand in unserer Stadt ausgebrochen". (In der Chronik von Wolfach von Franz Disch sind für die Jahre 1803 und 1858 keine Stadtbrände verzeichnet.) Wer später für das Stück eintrat, wurde gar als möglicher Brandstifter verdächtigt. Als Josef Krausbeck in den 1930er-Jahren eine Aufführung vorschlug, entgegnete der damalige Narrenvater Erwin Haas: "Und was ist, wenn ein Brand ausbricht?"

Wie der Zufall so will, blieb beim großen Schlossbrand 1947, als fast alle größeren Requisiten der Narrenzunft verbrannten, ausgerechnet der 1937 angeschaffte hölzerne Kasten der Weibermühle vom Feuer verschont.

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Der Südwestfunk verwendete die Straub'sche Kurzfassung 1952 für ein Hörspiel, verfasst von SWF-Redakteur Horst Scharfenberg, das am Fasnetsamschtig 1954 wiederholt wurde. Scharfenberg verfilmte sein Hörspiel an der Fasnet 1962 in leicht abgewandelter Form. Der Film wurde an der Fasnet 1963 im ersten Fernsehprogramm der ARD bundesweit ausgestrahlt.

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Die Weibermühle im Schlosshof in Horst Scharfenbergs Verfilmung von 1962

Der bekannte Fasnetforscher Wilhelm Kutter erkannte den Wert des Bredelin'schen Originaltextes und brachte im Süddeutschen Rundfunk Stuttgart eine Aufnahme, die er 1960 in Wolfach machte; Josef Krausbeck schrieb dazu verbindende Texte für einen Sprecher, denn sonst hätte der Hörer kein richtiges Bild der Handlung bekommen. Trotz der großen Beachtung, die die Weibermühle außerhalb Wolfachs fand, gab es weiterhin großen Widerstand gegen eine Aufführung, insbesondere in den Reihen des Kleinen Narrenrates. Einer der Narrenräte meinte gar, den "alde Schissdreck, den will doch heut niemand mehr sehen". Erst 1973 gelang es Krausbeck, Bredelins "musikalisches Nachspiel in 1 Aufzuge" wieder in Originalfassung auf die Bühne auf dem Marktplatz zu bringen. Er ergänzte dabei das Spiel durch gedichtete Sprechertexte und zwei Strophen seines 1955 entstandenen Liedes über die Weibermühle, um ein leichteres Verständnis zu ermöglichen; 1986 veröffentlichte er in der "Ortenau" eine überarbeitete Version des Sprechertextes, um ihn besser der Dramaturgie des Stückes anzupassen.

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Die Aufführung von 1977 filmte das Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF) aus Göttingen auf Initiative des Volkskundlers Prof. Rolf-Wilhelm Brednich, so dass Bredelins Spiel nun an allen europäischen Hochschulen betrachtet und studiert werden kann. Angeregt durch das große Interesse, das dieser Film erzeugte, drehte Brednich 1983 einen zweiten Film, der alle Wolfacher Fasnetbräuche dokumentiert.

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Josef Krausbeck und Walter Schmider bei der Weibermühle 1997

Am Schellementig 1982 wollte der Südwestfunk Baden-Baden die Weibermühle aufnehmen und im Jahr darauf am Schmutzige Dunnschtig im Fernsehen zeigen. Eine der beiden dafür vorgesehenen Kameras platzierte das SWF-Team um Regisseur Hubertus Brock auf dem Balkon über dem Eingang zum Salmen. Ein durchfahrender Lkw verfing sich nach der Elfemess am Schellementig jedoch in der Leitung, die über der Hauptstraße zum Übertragungswagen gespannt war, und riss die Kamera samt dem Balkongeländer herunter. Durch einen glücklichen Zufall wurde niemand verletzt. Mit nur einer Kamera wurde das Spiel dann zwar aufgezeichnet, aber nicht gesendet.

Die Weibermühle 2007
Die Weibermühle 2007

Zum 200. Jubiläum der Weibermühle entstand am 7. und 8. Februar 1987 in der Festhalle eine Verfilmung des Stückes durch das Videostudio Beurovision auf Initiative von Narrenrat Ditmar "Stocher" Beu. Die Kamera und Bildregie führte Konrad A. Frick. Die Uraufführung auf einer Großleinwand fand am 7. Mai 1988 im Rathaussaal im Rahmen des Wolfacher Maifestes statt. Die Tonspur des Filmes mitsamt den Fasnetliedern aus dem grünen Büchle erschien außerdem auf Tonkassette.

Wegen der Corona-Pandemie fiel 2022 offiziell die "Weibermühle" aus, sie wurde jedoch auf Initiative von Frank Schrader und Irmela Fritsch als Puppenspiel im Schlosshof aufgeführt.

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Zum musikalischen Hintergrund von Bredelins Singspiel konnte 2011 eine neue Quelle entdeckt werden. Die ersten vierzehn Töne der eingängigen Weibermühlen-Melodie entsprechen dem Beginn des anonym überlieferten Stücks "La Sabotière" (die Sanduhr), das in einer 1745 entstandenen Musikhandschrift mit 63 Kontertänzen aufgezeichnet ist. Diese Handschrift befindet sich in der Musikhabteilung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe und ist auch online zugänglich.

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"La Sabotière"

Eine weitere Handschrift, die das Stück unter dem Titel "Cotillion la Sabotière" überliefert, wird in der Musikaliensammlung der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern aufbewahrt. "Cotillion" bezeichnet einen französischen Tanz, der auf den gleichnamigen Unterrock einer Bäuerin anspielt.

Die gleiche Tonfolge taucht bereits im ersten Satz des von Johann Sebastian Bach in seiner Köthener Kapellmeisterzeit zwischen 1717 und 1723 komponierten Violinkonzerts BWV 1042 in E-Dur auf, das er 1738 in einer Bearbeitung als Cembalokonzert BWV 1054 mit seinem Leipziger Collegium Musicum erneut zur Aufführung brachte.

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Vergleich von Bachs 2. Violinkonzert mit der Melodie der "Weibermühle"

In einem Aufsatz über Bredelins "Weibermühle" im Wolfacher Narrenblättle von 1972 hatte Josef Krausbeck bereits die Vermutung geäußert, dass Schwung und Eleganz der Weibermühlenmelodie einem Haydn oder Mozart entsprungen sein könnte. Diese Vermutung hat sich nun auf eine ganz andere Art und Weise bestätigt: Nicht Haydn oder Mozart, sondern der große J. S. Bach selbst hat diese geniale Melodie geschaffen.

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