Der Michelesmarsch

Wolfacher Narrenmarsch

Das in Wolfach zur Fasnetzeit am meisten gespielte Musikstück ist zweifellos der Michelesmarsch, mit dem die Narrenkapelle das Fasnetusrufe, die Elfemessen sowie Fest- und Kinderumzug begleitet. An der Fasnet 1929 froren bei eisiger Kälte um minus 20 Grad die Instrumente der Narrenkapelle ein. Nichtsdestotrotz erklang bei den Umzügen der Michelesmarsch, denn er besteht nur aus Naturtönen, die die Kapelle auch ohne die fest gefrorenen Ventile spielen konnte.

Michelesmarsch

Josef Krausbeck dichtete 1934 und 1948 drei Strophen auf die Melodie des Marsches, in denen er den Ablauf der Fasnet an den drei Haupttagen Schmutzige Dunnschtig, Schellementig und Fasnetzieschtig beschreibt. Die in der ersten Strophe erwähnte Elfemess "bim Bahnhofjud" war in der Bahnhofwirtschaft des gelernten Kaufmanns und langjährigen Wohlaufsängers Albert Schmider, der wegen seiner vielen Geschäfte, denen er nebenher nachging, im Volksmund "de Bahnhofjud" hieß. Die Elfemess "bim Bennemi" war im Grünen Baum bei Ben Endres, die Elfemess "bim Bäuerle" in der ursprünglich von Bierbrauer Bäuerle betriebenen Gastwirtschaft "Zum lustigen Bruder", der späteren "Ratsstube".

Der von Karl Blattner auf die Melodie gedichtete Liedtext konnte sich nicht durchsetzen.

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Die ersten beiden Teile des Michelesmarsches basieren auf einem 1812 in Frankreich entstandenen Militärmarsch mit dem Titel "Aux champs en marchant" ‚marschierend ins Schlachtfeld', der bis heute zum offiziellen Repertoire der französischen Militärmusik zählt. Der Marsch wurde nicht vollkommen neu komponiert, sondern basiert vielmehr auf verschiedenen Signalmotiven, die sich schon in früheren Quellen nachweisen lassen.

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"Aux champs en marchant"

Während der Besatzungszeit nach dem 2. Weltkrieg spielte das französische Militär den Michelesmarsch in Wolfach beim Fahnenhissen; dies führte zu einer gefährlichen Situation, denn die Schuljugend fing nun an, zu tanzen und zu hopsen, wie sie es von der Fasnet her gewohnt war. Doch schließlich konnte das Missverständnis aufgeklärt werden; 1949 genehmigte der Gouverneur des Wolfacher Landkreises De Rendinger die Verwendung des Michelesmarsches offiziell.

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Der Verbindungsoffizier zum Gouvernement, der elsässische Professor Mattlinger, vermutete damals, dass es einen Text zu dem Marsch geben müsse, der sich auf einen Marschall Michèle beziehe, woraus der Name Michelesmarsch entstanden sei. Erst 1961 konnte aber der genaue Text ausfindig gemacht werden: Damals weilte der französische Kapuzinerpater Antonin aus dem Kloster in Straßburg-Königshoffen während der Fasnetzeit einige Tage zur Erholung in Wolfach und sah sich dabei auch zusammen mit dem Wolfacher Stadtpfarrer Gottlieb Huber einige Fasnetumzüge an. Als er den Michelesmarsch hörte, fiel ihm sogleich der Text eines Chansons mit dem Titel "La Casquette De Bugeaud" ein, das auf die gleiche Melodie gesungen wird. Dieses Lied entstand um 1850 als Parodie über den berühmt-berüchtigten General Thomas Robert Bugeaud (1784-1849), der vor einer Schlacht in Algerien vergessen hatte, seine Schlafmütze abzusetzen.

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Denkmal und Portrait von General Thomas Robert Bugeaud

In Kanada erlangte dieses Lied durch zwei Schallplattenaufnahmen ebenfalls große Bekanntheit. Die kanadische Opernsängerin Éva Gauthier (1885-1958), die mit zahlreichen zeitgenössischen Komponisten, darunter Maurice Ravel und Erik Satie, befreundet war, nahm das Lied 1918 für die "Victor Talking Machine Company" auf. Vermutlich hatte Gauthier das Lied durch das 1913 von Satie veröffentlichte Klavierstück "Danse cuirassée" kennen gelernt, in dem er es in humoresker Weise zitiert.

1938 sang der in Montreal lebende Bariton Louis Chartier "La Casquette du Père Bugeaud" für die US-amerikanische Firma "DECCA Records" ein. Chartier war ein seinerzeit bekannter Opern-, Operetten- und Cabaret-Sänger, der auch Gastspiele in den USA, beispielsweise in New York, gab.

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Der tschechische Komponist Bohuslav Martinu (1890-1959), der eine besondere Vorliebe für Opern und Ballette hatte, komponierte 1930 in Paris das groß besetzte Jazz-Ballett "Echec au Roi" (Schach dem König). Das Libretto dazu schrieb der einflussreiche französische Musikologe und Komponist André Coeuroy (1891-1976).

In diesem Ballett stellen sich zu Beginn auf einem weiß-roten Schachbrett die tanzenden Schachfiguren mit ihren jeweiligen Bezeichnungen vor. Als der König auftritt, erklingt in einer fantasievollen, modern und brillant orchestrierten Variationenfolge genau jener französische Fanfarenmarsch, der in Wolfach schon im 19. Jahrhundert zum Michelesmarsch geworden war.

Obwohl das Werk mit seinem großen Witz und Erfindungsreichtum als eine der besten Ballettmusiken Martinus gilt, wurde es zu seinen Lebzeiten nicht aufgeführt. Inzwischen existieren jedoch einige Aufnahmen davon auf CD, die auch im Internet auf den entsprechenden Videoplattformen ("YouTube") zu finden sind.

Bohuslav Martinu absolvierte sein Kompositionsstudium bei Josef Suk in Prag und Albert Roussel in Paris, wo er sich bis 1940 aufhielt. Von 1941 bis 1953 war er in den USA als Kompositionslehrer tätig. Ab 1953 lebte er in Italien und Frankreich, von 1956 an in der Schweiz. In seiner oft kontrapunktisch geprägten Tonsprache ist trotz aller Modernität die Herkunft aus der musizierfreudigen tschechischen Tradition Antonìn Dvoráks zu spüren.

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In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war Johann Rosenmüller (1619-1684) der bedeutendste deutsche Komponist. 1682 erschienen in Nürnberg seine zwölf "Sonate à 2. 3. 4 è 5. Stromenti da Arco & Altri". Die "Sonata Quarta à 3" für zwei Violinen, Viola da gamba und Basso Continuo basiert auf einer Melodie, die das ganze Stück durchzieht und mit den Takten zwei und drei des Michelesmarsches übereinstimmt. Da Rosenmüller auch Posaunist war, kannte er sich bestens mit solchen Naturtonmotiven aus.

Rosenmüllers 4. Sonate von 1682
Rosenmüllers "Sonata Quarta à 3" für zwei Violinen, Viola da gamba und Basso Continuo von 1682

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Der Michelesmarsch

Text: Josef Krausbeck 1934/48; Melodie: Aux champs (en marchant) 1812

Schmutziger Dunnschtig

Heißa, hopsa! Hansel, jetz wach endlig uf!
De Narrodag schient hell zum Fenschter ri!
Rieb der endlig d'Auge n'us un guck nit lang
zum Fenschter nus, denn d'Elfemeß kunnt gli!
Härsch nit, wie es trommlet lut:
Elfemeß bim Bahnhofjud!
Bum, bum, bum, bum,
Elfemeß bim Jud!
Elfemeß bim Bäuerle!
Elfemeß bim Bennemi!
Bum, bum, bum, bum,
Gell, do bisch debi!
Kinder hopse, Schelle klinge. Hansel, wit nit weidle mit?
Rechte Hansel müeße schpringe, fescht im Hanselschritt.
Alde Narre were junge, wenn mer so e Musik härt!
Alde Lire were gsunge, alles isch verkehrt!

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Schellenmentig

Heißa, hopsa! Was isch des e Lärm hit morge,
daß mer trotz em Rusch nit schlofe ka!
Wißi Gaischter komme jo durch d'Vorschdedt zoge,
hen e Bett, un drinne leit e Ma!
Schtallaterne lüchde schee,
Daß mer ka die Bettschdatt seh',
Bum, bum, bum, bum,
De Schläfer goht in d'Heeh:
Ihr Narre, hört, vernehmt un wißt:
De Narrodag erschtande ischt!
Bum, bum, bum, bum,
Drum de Wohlauf isch!
Hörner blose, Rätsche knarre, Hansel, schlofsch du immer no?
Hit verwache alle Narre, denn ihr Dag isch do!
Buebe, Maidle, Alte, Junge! Wohlaufmusik! Heidekrach!
Wer eso im Hemm rumgschprunge, der isch sicher wach!

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Fasnetzieschtig

Heißa, hopsa! Hansel schwing di Bei' zuem Danz,
daß alle Schelle klinge luschdig mit!
Sing un juchz vor luter Narredei, wils so
e Narrodag halt nu in Wolfe git.
Elfemeß un Nasezug,
Do kriegsch halt au gar nit gnug!
Bum, bum, bum, bum,
Kriegsch halt gar nit gnug!
Fasnetbretschle, Wienerle,
Landsknecht un Zigienerle.
Bum, bum, bum, bum,
Wer wot au no meh!
Kaffeedante un Schnurrante mache Gaude schier um d'Wett.
Alles isch e luschdge Bande un ihr Lewe net.
Hansel, hops, daß d'Schelle klinge, sing fidel un freu di noch!
Äschermittwoch wurd beginne, no hot d'Freud e Loch!

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