Der Wolfacher Durscht

Fasnetlied

Eines der beliebtesten Fasnetlieder ist der Wolfacher Durscht, dessen Text Albert Sandfuchs sen. und Konrad Villing sen. 1924 bei einer feuchten Zusammenkunft in der Gastwirtschaft "Zum Adler" nach dem Vorbild des "Brusler Dorschtes" von Otto Oppenheimer dichteten und damit die Gestalt des Grafen Konrad von Wolva schufen, den es aber historisch gesehen nie gegeben hat. Nach der langen kriegsbedingten Fasnetpause kam so ein fröhliches Lied gerade recht, das sich durch die von Sandfuchs in seiner Druckerei hergestellten Textzettel schnell verbreitete.

1926 entstand erstmals der Gedanke, den damals bei der Elfemess am Schmutzige Dunnschtig dargestellten Prinzen Karneval, den es zu jener Zeit fast überall im alemannischen Sprachraum als Symbolfigur der Fasnet gab, durch den durstigen Grafen Konrad von Wolva zu ersetzen. Im Jahr darauf schrieb Josef Krausbeck mit 17 ½ Jahren sein erstes Fasnetspiel, die Internationale Völkertagung am Hofe Graf Konrad des Durstigen. Da er noch nicht 18 war und deshalb nicht in die Narrenversammlungen gehen durfte, gab sein Vater das Spiel als sein eigenes aus und klärte diesen Sachverhalt auch später nicht auf.

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Das Lied vom durstigen Grafen Kuno, das als Vorlage für den Wolfacher Durscht diente, schrieb der bis zu seiner Emigration 1938 in Bruchsal lebende jüdische Tuchgroßhändler und Kunstmäzen Otto Oppenheimer (1875-1951). Die Entstehungsgeschichte seines Liedes beschrieb Oppenheimer in einem Brief vom 14. Juni 1950 an den damaligen Präsidenten der Großen Karnevalsgesellschaft Bruchsal:

Sie wissen, daß um die Jahrhundertwende in Bruchsal, das damals in seiner besten Blütezeit stand, die Große Karnevalsgesellschaft florierte. Damals war von dieser Gesellschaft ein Preis für ein Lied aus der Brusler Geschichte ausgesetzt, und ich gewann den Preis mit meinem Lied: "Ferdinand". Die frohe Aufnahme, die das Lied fand, hat mich veranlaßt, noch einige weitere Lieder aus der Brusler Geschichte zu verfassen, die dann im Laufe der Jahre in den Sitzungen der Großen Karnevalsgesellschaft gesungen wurden. Das dritte Lied war das vom "Brusler Dorscht". Es wurde zuerst anläßlich meines Junggesellenabschiedes am 27. April 1901 im damaligen "Hotel Keller" am Bahnhof gesungen.

Den Stoff zu diesem Lied fand ich in einem Geschichtswerk "Die Geschichte des Bistums Speyer" in der Staatsbibliothek Dresden-Neustadt. Den Verfasser dieses zweibändigen Werkes weiß ich nicht mehr. Dort fand ich auch, wenn ich mich recht erinnere, die lateinische Urkunde vom Mai 1056, worin der Kaiser Heinrich III. den Hof zu Bruxoles (Bruchsal) mit allen Wiesen und Gewässern, so wie es ihm von seinem Vetter, dem Grafen Konrad (Kuno) vom Kraichgauland hinterlassen worden ist, dem Bistum Speyer schenkte. Ich habe mich damals gefragt, wie es gekommen sein mag, daß der Hof von Bruchsal dem Kaiser Heinrich zufiel? Da muß doch ein Erbe gefehlt haben? Na, und da war es nur noch ein Schritt von der historischen Wahrheit zur humoristischen Dichtung. Da ich den letzten Kraichgaugrafen nicht verunglimpfen wollte, habe ich aus dem Grafen Konrad einen Kuno gemacht, aus dem Hof ein Schloß und den Todestag habe ich um einige Monate verlegt auf Anfang Februar.

Das Lied blieb verschollen, wie alle die Lieder der Großen Karnevalsgesellschaft Bruchsal, bis ich an Fastnacht 1912 oder 1913 im "Cafe Bellosa" es wieder hörte, und zwar von einer Zigeunerbande, von denen der eine eine Guitarre und der andere eine Flöte zur Begleitung der Musik hatte. Ich war ganz baff, das Lied wieder zu hören, und erkundigte mich später nach Abzug der Zigeuner, wer das war, der mit der Guitarre. Es waren Primaner, der Guitarrenspieler war der Hans Ebbecke und der Flötist der Wilhelm Häußler. Von da ab waren wir Freunde, und niemand anderer als Dr. Hans Ebbecke hat sich für die weite Verbreitung dieses Liedes verdient gemacht. Noch heute singt es Hans Ebbecke auf Verlangen seiner Zuhörer, und ich freue mich unsagbar, daß Hans seinen alten Humor noch hat.

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Dr. phil. Hans Ebbecke, der Sohn des früheren Oberpfarrers im Zuchthaus Bruchsal, der aufgrund einer schweren Verletzung im 1. Weltkrieg erblindete, zog nach dem Krieg zur finanziellen Aufbesserung seiner Situation durch fast alle badischen Städte und veranstaltete Liederabende, bei denen er sich selbst auf der Laute begleitete. Zu Beginn der 1920er-Jahre gab er im Wolfacher Badsaal ein Gastspiel und bekam insbesondere für den Brus'ler Dorscht lebhaften Beifall. Er verkaufte dabei auch sein bei einem Stuttgarter Musikalienverlag gedrucktes Liederheft mit dem Text des Brus'ler Dorschtes, der dann für Albert Sandfuchs und Konrad Villing als Vorlage für den Wolfacher Durscht diente.

Der durch Oppenheimers Lied zum Leben erweckte Graf Kuno wurde mit seinem Knappen Baldrian ab 1938 zur Symbolfigur der Bruchsaler Fastnacht und trat, ähnlich wie Graf Konrad in Wolfach, an die Stelle des Prinzen Carneval.

Die Familie Oppenheimer stammt ursprünglich aus Michelfeld im Kraichgau (zwischen Sinsheim und Bruchsal, Rhein-Neckar-Kreis), wo sie eine Wollfabrik betrieb, die insbesondere Uniformen für das preußische und badische Militär herstellte. Louis Oppenheimer (1831-1907), der mit der Bankierstochter Berta Bär (1839-1883) verheiratet war, gründete 1860 in Bruchsal eine eigene Tuchfabrik. Sein Sohn Otto heiratete am 6. Mai 1901 in Rottweil Emma Wälder (1878-1970). Nach dem Tod seines Vaters übernahm er die Leitung der Firma. 1935 stand er unter der Anklage, mit Uniformen der SA gehandelt zu haben, was für Juden verboten war. Zwar wurde diese Anklage später zurückgezogen, doch verlor die Firma dadurch Kunden. Im August 1938 überschrieb Oppenheimer die Firma seinem nichtjüdischen Kollegen Ernst Franke, die nun unter den Namen Ernst Franke und Co. GmbH firmierte. 1941 zog die Familie Oppenheimer in den New Yorker Stadtteil Bronx.

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Der Wolfacher Durscht

Text: Albert Sandfuchs sen. 1924; Melodie: Der kreuzfidele Kupferschmied

Das war der Herr von Wolvaland, Graf Konrad hieß der Held,
Der hatte einen Höllenbrand, doch leider wenig Geld.
Beim Sonnenwirt war's Stammlokal, dort saß er Tag und Nacht,
Und hat gar manches Zechgelag auf guten Pump gemacht.
:/: Ja der Durscht, ja der Durscht, ja der Wolfacher Durscht,
War die Leidenschaft des Grafen, alles and're war ihm Wurscht. :/:

Vom Wolfenberg bis Langenbach war all' sein Eigentum,
Der schöne Schmelzewald war sein und sonst noch viel drum rum;
Doch freute ihn kein grüner Wald, kein Jagen auf der Au,
Das schönste Mädchen ließ ihn kalt, er liebte keine Frau.
:/: Bloß der Durscht, ja der Durscht, ja der Wolfacher Durscht,
War die Leidenschaft des Grafen, alles and're war ihm Wurscht. :/:

Der alte Kaiser Heinerich war mütterlicherseits
Des Grafen Konrad Vetterich und Gläubiger bereits.
Er hat 'ne Hypotheke auf dem alten großen Schloß,
Jedoch des Grafen Lebenslauf den Kaiser sehr verdroß.
:/: Denn der Durscht, ja der Durscht, ja der Wolfacher Durscht,
War die Leidenschaft des Grafen, alles and're war ihm Wurscht. :/:

Doch eines schönen Tages war zu Ende all die Not,
's war grad um Aschermittwoch rum, da war Graf Konrad tot.
Doch an die Stadt hat er gedacht bis an sein Lebensend,
Und als die Teilung ward gemacht, da stand im Testament:
:/: Meinen Durscht, meinen Durscht, meinen Wolfacher Durscht,
Erben meine Landeskinder, alles and're ist mir Wurscht. :/:

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