Narrenversammlungen

in der Vorfasnetzeit

Bis in die 1990er Jahre hinein galt in Wolfach die auf den 7. Januar terminierte erste Narrenversammlung als offizieller Beginn der Fasnet. Hier hatten die Narren erstmals im neuen Jahr die Gelegenheit, sich organisatorisch und stimmungsmäßig auf die kommende Fasnet vorzubereiten.

Der erste schriftliche Nachweis für eine Narrenversammlung findet sich in der Wolfacher Tageszeitung "Der Kinzigtäler" von 1869. Erst rund 50 Jahre später bürgerte sich der 7. Januar als fester Termin für die erste Versammlung ein. Im Dritten Reich kam es dadurch einmal zu einer politisch heiklen Terminkollision, denn der 7. Januar 1935 fiel auf einen Montag. Immer am ersten Montag eines Monats jedoch fand die NSDAP-Ortsgruppenversammlung statt, bei der das Erscheinen der NS-Parteigenossen Pflicht war. Da sich zugleich jedoch auch führende Nazis im Narrenrat stark engagierten, allen voran Narrenvater Erwin Haas (1896-1974), der damals Wolfacher SS-Untersturmführer war, mussten beide Sitzungen zeitlich aufeinander abgestimmt werden. Die NSDAP-Versammlung begann im NS-Parteilokal "Adler" bereits um 20 Uhr, eine Viertelstunde früher als üblich. Ihre Dauer wurde auf genau eine Stunde festgesetzt. Die Narrenversammlung fand im Anschluss daran um 21 Uhr in der Bahnhofswirtschaft statt.

Die von der Narrenzunft veröffentlichte Anzeige für diese Versammlung wirkt aus heutiger Sicht geradezu absurd. Darin ist zu lesen: "Punkt Niene goht's a / Bim Jud (arisch) an de Bâ". Der Grund für diese sprachliche Verrenkung ist, dass der Bahnhofswirt Albert Schmider (1879-1957) schon lange vor dem Dritten Reich den Spitznamen "Bahnhofsjud" trug, da er neben seiner Wirtschaft auch noch zahlreiche andere Geschäfte betrieb. Dieser Spitzname fand auch Eingang in den von Josef Krausbeck verfassten Liedtext des Michelesmarschs, da im "Bahnhof" auch immer eine Elfemess stattfand. Im Jahr darauf, 1936, vermied die Narrenzunft den Begriff "Jude" in ihrer Ankündigung zur Narrenversammlung: "Hit owed ume Achde rum / setz uf der Narrehud, / Gang Richdung Bahof un rechts um / Zur "Ufrichtung" bim Ju… hu!".

Narrenversammlung Bahnhofswirtschaft 7.1.1935
Einladung zur Narrenversammlung in der Bahnhofswirtschaft am 7.1.1935

Ab den 1970er Jahren fand die erste Narrenversammlung immer seltener am 7. Januar statt, um möglichst einen Termin unter der Woche zu vermeiden und damit den Publikumszuspruch zu erhöhen. Je nach der Länge der Fasnet folgten früher bis zu vier weitere Narrenversammlungen bis zur Hauptfasnet. Aufgrund des nachlassenden Interesses der Narren gibt es seit 2001 zumeist nur noch eine einzige Narrenversammlung Ende Januar.

Eine besondere Stellung nimmt die 1932 eingeführte Martinisitzung am 11.11. ein, die nicht offiziell im Narrenfahrplan genannt wird, jedoch inzwischen ebenfalls zur festen Tradition gehört; heutzutage dient sie insbesondere zum Rückblick auf die vergangene und Ausblick auf die kommende Fasnet. Höhepunkt ist um 11:11 Uhr abends die Beschwörung des Narrogeistes.

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Narrogeistbeschwörung durch Fanny Harter (1960er Jahren)

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